Landessammlung 1972

Ende der 1960er Jahre hatte sich die Lebenssituation der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, verglichen mit der Zeit nach dem Krieg, verändert. Die akute Not der Nachkriegszeit war einer Prosperität gewichen, an der immer weitere Kreise der Bevölkerung teilhaben konnten, wenn sich auch die materielle Lage der Menschen nicht gleichmäßig verbesserte. Jedoch wurde dieser erfreuliche Trend seit den 1970er Jahren durch Wirtschaftskrisen, die die nahezu stetige Wirtschaftskonjunktur in Westdeutschland beendeten, und steigende Arbeitslosigkeit beeinträchtigt, so dass ein Teil der Bevölkerung hinter der Wohlstandsentwicklung der sich nunmehr ausbildenden Konsum- und Freizeitgesellschaft zurückblieb.

Hinzu kam ein anhaltender Wandel des Sozialverhaltens und der Werteorientierung mit einem Trend zur Individualisierung. Der gesellschaftliche Umbruch gewann in der Folgezeit noch an Dynamik. In dieser reformgeneigten Zeit Anfang der 1970er Jahre, angereichert mit den Diskussionen der aufbegehrenden Studenten- und Jugendbewegung sowie anderer neuer sozialer Bewegungen, stellte sich die Arbeiterwohlfahrt den gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen. Neue Arbeitsfelder wurden entwickelt.

Als Angebote für berufstätige Eltern und Alleinerziehende wurden neben Kindergärten auch Kindertagesstätten und Horte aufgebaut. Hausaufgabenhilfen wurden angeboten.

In ihrem 1978 landesweit gegründeten Jugendwerk setzte die Arbeiterwohlfahrt nicht mehr auf traditionelle Jugendpflege, sondern auf einen selbst verwalteten Jugendverband als Teil der Jugendbewegung. Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Kampf gegen Neofaschismus und Ausländerfeindlichkeit wurden über Bildungsveranstaltungen und politische Aktionen angegangen.

Nach der Wiedereinführung des Militärdienstes in der Bundesrepublik sah der Gesetzgeber ab 1961 auch einen Zivildienst (bis 1972 ziviler Ersatzdienst genannt) für Kriegsdienstverweigerer vor. Stand ein junger Mann das Anerkennungsverfahren durch, bot auch die Arbeiterwohlfahrt Zivildienststellen in ihren Einrichtungen an.

Die Arbeiterwohlfahrt errichtete aufgrund der hohen Nachfrage weiterhin Heime, teilweise auch Pflegebereiche, für ältere Menschen, wobei trotz finanzieller Anspannung auf altersgerechte Ausstattung und Betreuung Wert gelegt wurde. Die eigenständige Persönlichkeit der älteren Menschen sollte verstärkt gewürdigt werden. In verbandseigenen Schulen, wie in Augsburg, wurden Betreuerinnen und Betreuer ausgebildet.

Im Rahmen der offenen Seniorenhilfe wurden Einrichtungen geschaffen, um Senioren auch außerhalb der Heime zu betreuen. Zum Beispiel konnten die Versorgung über „Essen auf Rädern“ aber auch selbst verwaltete Altenklubs aufgebaut werden. Auch Seniorenerholungen und –urlaube wurden ermöglicht.

Ab Mitte der 1950er Jahre holte die boomende Industrie Arbeitskräfte aus Südeuropa auch in schwäbische Betriebe. Die neue Lebenssituation brachte für die Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten vielfältige Probleme mit sich. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege versuchten über Beratungsstellen Hilfe zu leisten. In Abstimmung mit den anderen Verbänden kümmerte sich die Arbeiterwohlfahrt um die Betreuung von Arbeitskräften aus der Türkei und dem damaligen Jugoslawien. Ende der 1970er Jahre traten die Probleme der nunmehr zweiten Generation der Zuwanderer in den Vordergrund der Arbeit.